Der Wunsch der 30 jährigen Patientin nach letztlich nicht-operativer Beseitigung dieser schweren Progenie war für mich eine große Herausforderung. Sie wollte ihre Progenie ganz einfach ohne chirurgische Risiken, d.h allein mit kieferorthopädischer Technik, behandelt haben. Dies ist zu einem lebenslangem, doch erheblichen, Wohl der Patientin gelungen.
Alles was ich bisher gelernt hatte und wußte, mußte auf den Prüfstand. Warum soll nicht auch Unmögliches vielleicht machbar sein, dachte ich mir dann. Schließlich habe ich einen Versuch gewagt. Die Patientin hatte sich letztlich nicht operieren lassen. Das Ergebnis hatte der Patientin schließlich Recht gegeben. Die technisch-biologische Lösung des Problems ist mir übrigens nicht während eines normalen Arbeitstags eingefallen. Da war keine Zeit für solche Besonderheiten.
Die Planung sah zunächst eine kombiniert kieferorthopädische Behandlung vor. Diese wurde auch von der Krankenkasse genehmigt. Als sie dann aber Näheres, wegen der Operation und dem, zwar geringen aber vorhandenen, Risiko einer intraoperativen Nervschädigung, erfahren hatte, hatte sie der Mut zur Operation völlig verlassen. Ich konnte ihr diese Sorge nicht zerstreuen. Auch fürchtete sie Schmerzen – das Übliche.
Jetzt sollte ich das Problem allein lösen. Mir war klar, daß ein nicht-operativer Erfolg nur möglich war wenn der knöcherne Gewebewiderstand in beiden Kiefergelenken unterschwellig blieb. Durch die kieferorthopädischen Retraktionskräfte über den Unterkiefer auf die Kiefergelenke durften keine Degenerativen Schädigungen an den komplexen Gelenksstrukturen entstehen. Leichter gedacht als getan. Die Kräfte auf die Kiefergelenke durften nicht zu statisch und nicht dauerhaft unipolar gerichtet sein. Dynamische Kräfte waren gefragt. Nur mit innovativen eigenen und neuartigen Modifikation bekannter kieferorthopädischer Geräte ist mir das gelungen. Dabei mußte die Patientin auch zuverlässig mitarbeiten. Dies war hier ausnahmsweise der Fall. Sonst wäre das gute Ergebnis nicht möglich gewesen. Erfreulich war, daß nicht nur der Unterkiefer nach hinten verlagert wurde, sondern auch der Oberkiefer reaktiv etwas nach vorne. Die Faserverbindungen (Suturen) der Mittelgesichtsknochen hatten bei der Kraftverankerung etwas nachgegeben. Für die Harmonie des Mittelgesichts war dies von Vorteil. Aus dem energisch-bedrohlich anmutenden Unterkiefer wurde ein unauffälliges feminines gerades Untergesicht.
Eine weitere Korrektur der Zahnstellung (Lücken) bzw. non-invasiven Zahnaufbau wollte die Patientin bzw. der Ehemann nicht haben.