Kollegen wollten alle 4er (Prämolaren) ziehen. Nach dem Lehrbuch war dies auch angezeigt. Die Mutter und der Patient selbst wollten aber auf keinen Fall, daß gesunde Zähne für die Kieferorthopädische Behandlung gezogen würden. Nach reiflicher Analyse habe ich mich bei diesem Patienten für die Behandlung ohne Zähneziehen entschieden. Es war zwar nur ein Versuch – aber mit guter Aussicht auf Erfolg. So wie in der 1. Foto-Sequenz konnten die Zähne ja auch nicht bleiben. Meine Erfahrung mit eigenen innovativen Gerätetechniken sollte mir letztlich Recht geben. Die Mutter des Patienten und der Patient selbst waren mit meinen Bedingungen einverstanden. Sie wollten unbedingt alle Zähne (ausser den Weisheitszähnen) erhalten". "Deshalb seien sie ja zu mir gekommen". Da habe ich einfach nochmal intensiver nachgedacht. Ich nehme an, das Ergebnis kann sich sehen lassen, und der Patient hat bekommen was er wollte - "schön stehende Zähne".
Alle Kollegen zuvor wollten 4 gesunde Zähne ziehen - weil die Weisheitszähne angelegt waren. Damit hatten sie nach dem Lehrbuch recht. Durch das Zähneziehen der 4er würden sich die retinierten 8er dann ersatzweise in den Zahnbogen einstellen. So ist die Lehrmeinung. Bei ca. 80 % der Patienten trifft dies dann letztlich aber doch nicht zu. Es müssen später auch die 8er entfernt werden, weil, trotz Extraktion der 4er, dennoch nicht genug Platz für die 8er übrig bleibt. Per Saldo bedeutet dies letztlich das Extrahieren von insgesamt 8 gesunden Zähnen. Dies wäre auch hier der Fall gewesen. Das konnte es nicht sein ! Dann doch lieber die Lücken für die Retinierten Eckzähne öffnen, unter Erhalt der 4er, mit vollständiger Verlagerung des Platzmangels auf die Weisheitszähne. Die 8er sind dann ohnehin verloren. Es lohnt sich dann auch, nur diese zu entfernen.
Dies praktiziere ich schon seit 20 Jahren mit großem Erfolg zugunsten des Erhalts lebender Zahnsubstanz (4 gesunde Prämolaren). Freunde kommentieren dies so: “Da werden ganze Kongresse abgehalten für den Erhalt von stecknadelskopf-großem Zahnschmelz (wegen Karies) um dann, mitunter unüberlegt, mit einem einzigem Federstrich 4 gesunde Zähne zu opfern“. Es lohnt sich in jedem Fall vorher genau zu prüfen ob die Prämolaren nicht doch zu erhalten sind. Ich prüfe immer sehr genau. Dies heißt nicht, daß ich in Einzelfällen nicht genauso auf dem Ziehen von 4 bleibenden Zähnen (Systematische Extraktionstherapie) bestehe - wenn es unbedingt erforderlich ist.
Die Mutter und der Patient kamen zu mir mit der Frage, ob es nicht doch ohne Zähneziehen geht. Sie hatten gehört, daß ich auch bei schwierigen Anomalien non-Extraktions-Behandlungen durchführe. Nach dem Lehrbuch war bei diesem Patienten eine Extraktions-Behandlung angezeigt. Die Patientenmutter wollte dies aber dennoch nicht. Das Ergebnis hat ihr Recht gegeben. Es war zwar nur ein Versuch – der allerdings gut gelungen ist.
Wegen dem etwas fassartigen Aussehen der mittleren oberen Schneidezähne habe ich zum Schluss diese leichten “Bäuche“ durch eine modellierende approximale Schmelzreduktion abgemildert. Der Patient, der unbedingt “schöne Zähne“ haben wollte, war sehr damit einverstanden. Die gelblichen Eckzähne, wie sie häufig vorkommen, wollte er sich aber nicht bleachen lassen.
Es sei noch angemerkt, daß bis zu dem schönen Ergebnis der Weg mit dem Patienten mitunter steinig war. Der Patient hatte, pubertäts-bedingt, mitunter nicht gut mitgearbeitet. Diese Compliance ist aber für eine solch differenzierte Behandlung absolut unerläßlich. Das Endergebnis hat mich letztlich doch auch zufrieden gestimmt.
Übrigens: Der Kieferorthopädische Gutachter bestand darauf daß die 4 (vier) Prämolaren gezogen werden sollten. Wie gut, daß er nicht weiss, daß ich – aus besonderen medizinischen Gründen - zugunsten des Patienten entschieden habe und 4 gesunde Zähne gerettet habe. Bei einer Lebenserwartung von zusätzlich weiteren 80 Jahren dieses Patienten, ist dies ein Pfund. Man weiss heute noch nicht genau, wofür diese geretteten Zähne für den Patienten noch einmal gut sein werden.
Anmerkung: auf einer Kieferorthopädie-Tagung habe ich kürzlich in einem Vortrag gehört, daß inzwischen auch nach der Lehrmeinung nicht mehr so viel extrahiert (gezogen) werden soll. Es soll stattdessen der Platzmangel durch Protrusion (nach vorne kippen) der Frontzähne ausgeglichen werden. Dieses allein wird sich als ein Irrweg herausstellen, wenn man nicht auch andere Möglichkeiten der Platzbeschaffung mit heranzieht. Man bereitet sonst möglicherweise vermeidbare Parodontal-Probleme an den Frontzähnen. Ich habe es unbedingt vermieden den Platz allein auf diese Weise zu beschaffen- wie man sehen kann. Die Natur hat mir Recht gegeben. Sie ist letztlich das Maß unserer - und aller Dinge.
Danke für Ihre Aufmerksamkeit.